Dienstag, 31. Dezember 2013

Über Internet-Katastrophen



Die Internet-Katastrophe Version 2.5
Oder auch: Der Hambuger Schaufelsturz

Mit erstaunlicher Gleichförmigkeit sind die Katastrophen inzwischen zum Medien- und vor allem Internet-Ereignis geworden. Sie haben längst die Diskussionen um aktuelle Tatort-Folgen überholt.
Nehmen wir den Fall, dass in Hamburg zum Zeitpunkt T eine Schaufel umkippte.

Wenn die Schaufel festgehalten wird,
dann kann sie nicht umkippen!



T+1 Minuten: Ein vermeintlicher Augenzeuge twittert: „Direkt vor meinen Augen ist eine Schaufel umgekippt. Keiner hilft. Höre Sirenen. #HH #Schaufel #Grauen #Chaos“

T+10 Minuten: Bild.de nimmt erste „Eilmeldung“ auf die Startseite. Noch ist es nur ein „möglicher Schaufelfall“, aber mutmaßlich muss es „Opfer gegeben“ haben.

T+11 Minuten: Focus.de, Welt.de und Spiegel.de übernehmen die Nachricht und reichern die Meldung mit der Anmerkung „Tote und Verletzte können bisher nicht ausgeschlossen werden“ an. In der Medienstadt Hamburg kommt in vielen Redaktionen Festtagsstimmung auf. Der NDR bucht zusätzlich Satelliten-Kapazitäten.

T+15 Minuten: Bild.de richtet einen Liveticker ein. Überschrift: „Die Schaufelhölle von Hamburg“. Andere Seiten ziehen wenige Sekunden später nach und bereiten einen Opfer-Zähler vor.

T+16 Minuten: Bei Facebook wird die Gruppe „In Gedenken an die Opfer vom Schaufelfall von Hamburg“ eingerichtet und erreicht innerhalb weniger Minuten über 100.000 Likes.

T+20 Minuten: In den Kommentaren der Gruppe „In tiefer Trauer über die Opfer von Hamburg“ tauchen erste kritische Untertöne dazu auf, dass hier doch nur auf Kosten der Opfer nach Likes und Hits gefischt werden soll. Noch werden diese mit dem Kommentar „das würdest Du nicht schreiben, wenn Du selber jemand Lieben in Hamburg verloren hättest“ klein gehalten.

T+30 Minuten: Bild.de meldet endlich „Bild-Reporter ist Vorort“. Was daraus folgt bleibt zunächst offen.

T+35 Minuten: Alle einschlägigen Newsseiten haben ihre Schaufel-Experten aus dem Urlaub zurück beordert und bringen erste Fotostrecken zu der Geschichte der Schaufel im Allgemeinen und der Hamburger Schaufel im Besonderen.

T+36 Minuten: Bild.de packt wie zufällig die Bildstrecke „Die größten Katastrohen der Menschheit“ auf die Startseite. Die schon fertig gestellte Recherche zu „Deutschlands größte Porno-Hoffnungen“ kann erst durch Scrollen erreicht werden.

T+40 Minuten: Die Experten sind in den Redaktionen angekommen und bekunden in ersten Kurzzitaten in den Livetickern wie schlimm so eine umgefallene Schaufel sein kann und was das für die Opfer und deren Angehörigen bedeutet.

T+45 Minuten: Opferverbände appellieren an die Medien, die Privatsphäre aller Betroffener zu beachten und die Arbeiten der Rettungsmannschaften nicht zu behindern. Der Appell wird in den Livetickern mangels sonstiger Informationen ungekürzt widergegeben.

T+46 Minuten: Bild.de und Focus.de bemängeln fast wortgleich, dass es immer noch keine offiziellen Aussagen der Behörden gäbe und die Rettungskräfte vor Ort bisher nicht zu einer Stellungnahme zum Ausmaß der Katastrophe bereit gewesen sein. Durch die Hamburger Innenstadt irren dutzende Fernsehteams umher und beginnen schließlich verzweifelt sich gegenseitig zu ihren Schaufelerfahrungen zu interviewen.

T+47 Minuten: Die Fotostrecken werden mit Bildern aus Facebook-Profilen von potentiellen Opfern angereichert. Eine Schaufel, die im Sommer 2012 beim Bau der U4 eingesetzt wurde, wird als möglicher Täter vorgestellt: „Ist das die  Monster-Schaufel von Hamburg-Altona?“

T+48 Minuten: Erste Videobilder tauchen bei YouTube auf, werden bei Facebook und Twitter millionenfach verlinkt und bei NTV mit der Einblendung „Quelle: Internet“ gesendet. Erst Stunden später wird auffallen, dass es sich um im Kino abgefilmte Szenen aus einem Roland Emmerich-Film handelt.

T+49 Minuten: RTL bietet Heiner Lauterbach als Katastrophen-Experten auf. Er erzählt noch einmal wie schwierig die Dreharbeiten für den Film „Helden – Wenn Dein Land dich braucht“ waren und er sehr gut nachfühlen könne, was da gerade in Hamburg los sei. Schließlich sei er in dem TV-Event „Der Kanzler“ gewesen.

T+50 Minuten: Die ARD kündigt einen Brennpunkt-Spezial an. Das ZDF unterbricht zeitgleich das aktuelle Programm und stellt stolz fest, schon 45 Minuten früher als die ARD ein Heute-Spezial zu senden.

T+60 Minuten: Führende Politiker der CSU versprechen eine „schonungslose Aufklärung“ und „unbürokratische Hilfe“. Seehofer überwindet alle Querelen rund um den Länderfinanzausgleich und bietet an „für Hamburg zu beten“.

T+61 Minuten: Die SPD verspricht Gesetzesänderungen.

T+62 Minuten: Die Grünen bitten darum, Schaufeln nicht generell zu stigmatisieren und erst einmal die Ermittlungen abzuwarten.

T+63 Minuten: Die NPD fordert die „Abschiebung krimineller Schaufeln aus nicht EU-Produktion“ und ist sich sicher, dass deutsche Schaufeln niemals umkippen.

T+70 Minuten: „Der Postillon“ veröffentlicht einen provokanten Satirebeitrag darüber, dass Twitter-Einträge wie „Heute sind wir alle Hamburger. Ich denke an Euch“ die Opferzahlen nur unmerklich verändern.

T+71 Minuten: Die Kommentarfunktion der Facebook-Seite von „Der Postillon“ quillt über von Nachrichten wie „Menschenverachtend“, „War ja bisher immer ein Fan der Seite, aber …“, „Was sind das für Idioten, die keine Satire begreifen“ und „Ich hol schon mal das Popcorn aus der Mikrowelle“.

 T+72 Minuten: Bei Twitter ist der Hashtag #MitmeinenGedankenundGebetenbeiHamburg nun vor #Cyrusnude.

T+75 Minuten: Die Schaufel-Innung bekundet, dass deutsche Schaufeln tatsächlich sicher sein, man aber mit der NPD nichts zu tun habe. Außerdem werden Spendenkonten benannt.

T+83 Minuten: Der Liveticker von Bild.de kommt unverhofft ins Stocken. Doch dann kündigt die Stadt Hamburg eine Pressekonferenz in 20 Minuten an. Sofort werden die Liveticker mit einer Count-Down-Uhr versehen.

T+85 Minuten: Redakteure bereiten Unterseiten wie „Jetzt spricht die Mutter der Schaufel“, „Das Protokoll vom Hamburger Schaufelsturz“ und „Ist meine Schaufel noch sicher?“ vor.

T+90 Minuten: Das Thema der Talkshow von Günther Jauch wird spontan auf „Wenn die Schaufel wackelt“ geändert. Heiner Geißler, Micaela Schäfer und Franzi van Almsick bleiben die Gäste.

T+95 Minuten: Immer mehr wacklige Handy-Videos tauchen bei YouTube auf und zeigen den Hamburger Rathausplatz in den Wochen vor der Katastrophe. Titel sind „Gerade noch einmal davon gekommen“ oder „Unglaublich, ich hätte auch ein Opfer sein können“. 

T+100 Minuten: Bei Twitter nehmen die Einträge zu, in denen bemängelt wird, dass der Aufschrei wegen einer Hamburger Schaufel doch viel zu groß sei, obwohl ständig in dieser Welt Schaufeln umkippen würden, ohne dass die Medien hierüber berichteten. In China seien sogar mal mehrere Säcke Reis umgefallen und die Tagesthemen hätten hierüber allenfalls durch Gundula Gause zwischen den Hauptnachrichten etwas gebracht.

T+102 Minuten: Bild.de mutmaßt, dass nunmehr auch die Bewerbung um die Fußball-EM 2024 in Gefahr geraten könnte. Bei Facebook erhält die Gruppe „Alle EM-Spiele in Hamburg – Jetzt erst recht“ reißenden Zulauf. Andere Seiten zitieren den Bild-Artikel mit den Worten „Die Fifa prüfe angeblich aktuell …“

T+103 Minuten: Die Count-Down-Uhren laufen ab. Livereporter im Hamburger Rathaus werden hektisch auf Sendung bzw. den Livestream gegeben. Atemlos wird davon berichtet, dass Ordner gerade Wasser auf den Tischen verteilen, was ein eindeutiges Zeichen dafür sei, „dass es gleich losgehen muss“.

T+115 Minuten: Der regierende Bürgermeister dankt den Helfern. Die Schaufel sei geborgen und an einen sicheren Ort gebracht worden. Ihre Identität stehe noch nicht eindeutig fest.

T+120 Minuten: Der regierende Bürgermeister erklärt auf Nachfrage, dass es zum Glück keine Opfer gegeben habe. Nicht einmal die Schaufel habe einen Kratzer abbekommen.

T+120 Minuten und 30 Sekunden: Die Übertragungen aus dem Rathaus werden beendet. Dass in diesem Moment zwei Femen-Aktivistinnen mit auf die Brüste gemalten Baggern gegen die Ausbeutung im Tiefbaugewerbe protestieren, sehen einige wenige Reporter nur noch aus dem Augenwinkel beim Zusammenpacken. 

T+120 Minuten und 31 Sekunden: Die Liveticker werden abgeschaltet. Die Bekanntgabe der Kandidaten des diesjährigen „Dschungelcamps“ steht wieder auf den Startseiten. Die Meldung von der umgefallenen Schaufel wird durch einen Fünfzeiler von dpa ersetzt. Der Hashtag #ibs übernimmt die Spitze. Günther Jauch talkt nun doch zum Thema "Hilfe, der Bruder meines Onkels ist mein Vater".

T+1 Tag: Mehrere Blogs greifen die Geschichte von der umgefallenen Schaufel für ihre Medienkritik auf und bemängeln, dass „mit erstaunlicher Gleichförmigkeit die Katastrophen inzwischen zum Medien und vor allem Internet-Ereignis geworden“ seien. Sie hätten „längst die Diskussionen um aktuelle Tatort-Folgen überholt“.  Ein paar Likes greifen sie damit noch ab.

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Schluss mit Freundschaft - Das Maß bei der NSA-Überwachung ist voll



Schluss mit Freundschaft
Das Maß bei der NSA-Überwachung ist voll

Wie aus Kreisen der neuen großen Koalition in Berlin zu hören ist, gilt seit einigen Tagen hinsichtlich der Überwachungsaktionen der NSA eine Null-Toleranz-Grenze. Die Aktionen gegen die Bürger Deutschlands und schließlich gegen die Kanzlerin führten zwar schon bei vereinzelten Abgeordneten zu Unmutsbekundungen. Doch erst die nunmehr erfolgte Auslosung der Gruppen bei der Fußball-WM in Brasilien brachte den Durchbruch für die Datenschützer.
Sport macht möglich, wo die Politik zauderte

Wie ein Datenschutzpolitischer Sprecher vom neuen Bundesministerium für digitale Infrastruktur erklärte, gelte nun nicht mehr der bisher allgemein anerkannte Grundsatz „dass man ja nichts zu verbergen“ habe. Wenn es darum geht, den vierten Stern zu holen, dann könne es nicht sein, dass bei der Partie USA gegen Deutschland ein Wissensvorsprung bei dem Gegner der deutschen Nationalmannschaft bestehe.

Der amerikanische Botschafter wurde heute ins Kanzleramt bestellt und bekam offiziell mitgeteilt, dass nun doch die Überwachungsaktionen augenblicklich einzustellen sein. Dies gelte zunächst bis zum 13.07.2014 23:00 Uhr deutscher Zeit. Zum Ausgleich dieser Einschränkungen machte die Bundesregierung weitreichende Zugeständnisse. So sagte sie im Namen von Joachim Löw zu, keine Terroristen in der Startelf der Nationalmannschaft beim Spiel am 26.06.2014 aufzustellen und der DFB verpflichtete sich Jürgen Klinsmann nicht vorzeitig „etwa für eine spontane Wehrübung Ende Juni“ zurück nach Deutschland zu berufen.

Ein Sieg für sportliche Fairness und Datenschutz.

Donnerstag, 28. November 2013

Auf in die 80er

Kunstwerke vergangener Epochen: Eine Hörzu aus dem Jahre 1982.



Was das erschreckendste an einer Hörzu vom Juni 1982 ist? Dass seit dem über 30 Jahre vergangen sind und dennoch bei mir beim Durchblättern Erinnerungen hochkommen. Okay, Fanta Still hatte ich verdrängt und auch, dass am Sonntagabend um 20:15 Uhr im Ersten nicht Tatort, sondern abgefilmte Opernaufführungen liefen. Aber Victor vom Traumschiff, Sendepausen, Videorekorder unter 2000 DM, Aufregung über „Da, Da, Da“ und seitenlange Radioprogramme, an die erinnere ich mich sehr deutlich.

Und damit es Euch und Ihnen auch so geht hier ein kleiner Film. Und danach sollte auch klar sein, dass „Schmiere 2“ keine Dokumentation der Schuhe-putzenden Industrie war.