Katastrophen-Tourismus - Eine boomende Branche
Der Erfolg des Katastrophen-Tourismuses ist nicht aufzuhalten. Nicht erst seit Fukushima und Costa Concordia erfreuen sich Reisen zu den schönsten Unglücken der Welt wachsender Beliebtheit. Die Branche fährt jährlich neue Rekorde ein. Umsatzsteigerungen von 100% mehr sind keine Seltenheit.
Einer der Platzhirschen ist das Unternehmen „Schau nicht weg“ aus Eschede. Geschäftsführer Klaus Meier erklärt das Geschäftsmodell: „Die Idee für ,Schau nicht weg‘ kam mir, als hier ganz in der Nähe dieses ICE-Unglück war. Damals hatte ich noch eine kleine Flotte an Imbisswagen betrieben. Die hatte ich sofort alle rund um die Bahnstrecke postiert und den Umsatz des Jahres gemacht. Heute organisieren wir große Reise mit Rundumbetreuung zu allen Katastrophen rund um den Erdball. Dabei kommt uns zugute, dass uns viele unglückslastige Unternehmen und Orte schon kennen. Teilweise erreichen uns die Meldungen von Redereien, Fluglinien und lawinengefährdeten Orten Stunden bevor überhaupt der erste RTL-Reporter in seinem Ü-Wagen sitzt. Unsere Kunden sind meist sehr flexible Menschen, wie Rentner und Studenten. Bei Ereignissen in der Umgebung haben wir die innerhalb weniger Minuten über Handy und Facebook informiert und den Bus losgeschickt. Wer bei uns bucht, der bucht Qualität. Schließlich soll bei der Ankunft der Gesellschaft ja auch noch etwas zu sehen sein. Nichts ist deprimierender, als dass schon mit den Aufräumarbeiten begonnen wurde, bevor unsere Kunden das erste Erinnerungsfoto machen konnten.“
Auch die Polizei hat sich dem Trend inzwischen angeschlossen und unterstützt die Idee tatkräftig. Polizeiwachtmeister Hubert von der Elbtunnel-Einsatzgruppe erzählt: „Früher waren wir durchaus skeptisch, was die Zusammenarbeit mit ,Schau nicht weg‘ anging. Aber wir mussten schnell erkennen, dass hier die Vorteile für alle Beteiligten überwiegen und wir es mit einem hochgradig professionell arbeitenden Team zu tun haben. Früher liefen diese Gaffer bei den Unfällen überall unkontrolliert rum. Seit wir die ,Events‘, wie wir die größeren Autobahnunfälle inzwischen nennen, exklusiv an ,Schau nicht weg‘ vergeben haben, kümmern die sich um alles. Zügig wird das Gelände weiträumig abgesperrt und sie stellen sicher, dass nur zahlende Kunden das Gebiet betreten. Da sind wir dann auch nicht so und lassen ein Feuer auch mal etwas länger brennen, bis alle ihre Fotos gemacht haben. Natürlich nur, wenn vorher alle Betroffenen gerettet wurde ...“, schmuzelt Hubert.
Viele Kunden von „Schau nicht weg“ sind schon viele Jahre dem Unternehmen treu. Man kennt sich und trifft sich auch außerhalb der Unfälle in der Hamburger Stammkneipe „Titanic“. Hier werden die schönsten Bilder ausgetauscht und in Erinnerungen geschwelgt. Wer es zum „Bild Leser Reporter“ in der Woche geschafft hat, muss eine Runde spendieren. Während der vierten Lokalrunde des Tages kamen wir mit Dauer-Katastrophen-Tourist Kruse in Gespräch: „Natürlich hatte ich zunächst auch etwas Skrupel. Aber das macht doch jeder. Wir nehmen eben Anteil am Leid unserer Mitmenschen. Und besser es läuft organisiert ab, als dass da jeder wie früher in den frischen Blutlachen herumtappst. Außerdem gehen von jedem Euro Reisepreis zwei Cent an die Hinterbliebenen. Da hat man doch gleich ein viel besseres Gewissen.“
Sein Kumpel Lemmert erklärt, was den besonderen Reiz der Touren von „Schau nicht weg“ ausmacht: „Hier ist alles noch sehr familiär. Keine anonymen Gaffer mehr. Man kennt sich. Auch die Polizisten und Katastrophenhelfer nicken einem schon beim Ankommen freundlich zu und haben stets ein Lächeln und einen witzigen Spruch auf Lager. Letztens ließ ein Arzt sogar bei einer Amputation uns jeden mal ein wenig mit der Säge arbeiten. Das gibt einem doch gleich ein viel besseres Gefühl dafür, was so ein Unfall für die Betroffenen bedeutet. Ein tolles und lehrreiches Erlebnis, auch für die Kinder.“
Aber auch der kulinarische Genuss einer jeden Katastrophe ist garantiert. Längst sind aus Meiers Imbisswagen kleine Gourmet-Tempel geworden. Schon der ein und andere Sternekoch hat hier das Menü zum Unfall kredenzt. „Ein schwerer Unfall geht schließlich nicht nur den Opfern durch den Magen“, lacht Meier.
„Schau nicht weg“, eine pfiffige Idee aus Norddeutschland.
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